1987

125 Jahre Turnverein 1862 Helmbrechts

 

Nach einer grundlegenden Arbeit von UWE FRIEDRICH

zusammengestellt von OTTO KNOPF

 

Im Verlauf von 125 Jahren hat der Turnverein 1862 Helmbrechts die Freude an turnerischer und sportlicher Betätigung immer wieder neu entfacht, das gesellschaftliche und kulturelle Leben befruchtet, die Geschichte der Stadt mitgestaltet und damit ein gut Teil beigetragen zur Prägung des Menschen unserer Heimat. Dies alles veranlasst uns im Jubiläumsjahr zu einer kurzen Rückschau.

Der Turnverein Helmbrechts wurde am 24. April 1862 im Gesellschaftszimmer des Schützenhauses gegründet. Die Versammelten wählten Albrecht Knopf zum ersten Vorstand, Dr. Hopf zum Turnwart und Nikol Lenz zum Schrift- und Säckelwart. Um die Idee des Turnvaters Friedrich Ludwig Jahn zu verwirklichen, strebte man mit Idealismus und strenger Disziplin drei Ziele an: Das Turnen, die Turnfahrt und die Pflege der Geselligkeit.


Der junge Verein hatte keinen leichten Start. Es fehlte ein eigener Turnplatz, das Vereinslokal musste von 1863 bis 1870 allein sechsmal gewechselt werden, vor allem aber mangelte es an Geld, da sich die Beiträge durch Mietzahlungen erschöpften. Dennoch berichtet der Chronist von einem regen Vereinsieben. Der bereits 1863 neugewählte 1. Vorstand Gottlieb Lenz stellte schließlich, um einem spürbaren Mangel abzuhelfen, seinen Garten als Turnplatz zur Verfügung. Die Einweihung dieses Platzes unter Mitwirkung des Gesangsvereins war das erste Fest, das die Helmbrechtser Turner feierten.


Noch ganz unter dem Eindruck des großen Brandes im Jahr 1844, der das alte Stadtbild völlig ausgelöscht hatte, gründete man am 20.7.1863 im Turnverein eine lokale Feuerwehr, der sofort 20 Turner beitraten. Nach dem Brandunglück vom 18.8.1865, das unter anderem das Rathaus und das Pöhlmannsche Anwesen zerstörte, bildete sich unter dem Kommando des Schuhmachermeisters Lorenz Geißer eine „Freiwillige Turnfeuerwehr“, aus der 1868 die Freiwillige Feuerwehr Helmbrechts als eigenständiger Verein hervorging.


Der Krieg 1870/71 brachte zwar eine Schwächung des Vereinslebens mit sich, doch bereits ein Jahr später ging es nach der Pachtung eines neuen Turnplatzes wieder aufwärts. Die Einführung des „Winterturnens“ und des „Zöglingsturnens“ für Burschen von 14 bis 18 Jahren, zunächst im Schützenhaussaal, stellte die turnerische Arbeit auf eine breitere Basis.


1. Vorstand Lorenz Geißer konnte erstmals nordoberfränkische Turner zu einem Gauturntag in Helmbrechts begrüßen. Im Jahr 1883 ist zwar von einer guten Finanzlage des Vereins die Rede, doch kam es infolge politischer Meinungsverschiedenheiten zu einer unglücklichen Trennung. Der „Turnverein II 1883“ sonderte sich ab und erlebte 1903 eine nochmalige Spaltung. Trotz guten Einvernehmens im turnerischen Bereich erfolgte eine Wiedervereinigung erst im Jahr 1927.


1885 trat Adolf Haack das Amt des 1. Vorstandes an, ein Turner von echtem Schrot und Korn. Schon seine Fußmärsche zu den Turnfesten der näheren Heimat, aber auch nach Gräfenberg bei Nürnberg, Rothenburg ob der Tauber, ja sogar nach Worms sind einmalige Leistungen geblieben. Unter seiner Verantwortung fand 1887 im Schützenhaus das 25jährige Vereinsjubiläum statt, bei dem sich die ein Jahr vorher erfolgte Eröffnung der Bahnlinie Münchberg Helmbrechts als sehr vorteilhaft erwies.


Obwohl Gottlieb Lenz 1888 dem TV ein größeres Grundstück zu einem äußerst günstigen Pachtpreis zur Verfügung stellte, empfand man bei dem glanzvollen Gauturnfest 1889 in Helmbrechts das Fehlen einer Halle als besonders nachteilig. Noch im gleichen Jahr machte sich deshalb unter Leitung von Adolf Haack ein zehnköpfiger Ausschuss an die Vorbereitungen zum Bau einer Turnhalle. Die Erfolge Helmbrechtser Turner taten ein Übriges, dieses Werk voranzutreiben So konnte Heinrich HölIrich 1891 beim Gauturnfest in Schwarzenbach/Saale den ersten Sieg erringen.


Nach der Grundsteinlegung am 24.9.1898 fand die Einweihung der Halle bereits am 11., 12. und 13.6.1899 statt. Es war ein Fest wie nie zuvor. Mit dem Übungsbetrieb in der eigenen Halle gewann das Turnen ständig neue Freunde, zumal sich in der Folgezeit unter der vorbildlichen Leitung des Oberturnwarts Peter Schneider eine Musterriege herausformte. Sie war unter anderem auch dominierend beim 5Ojährigen Jubiläum vorn 12. bis 14.6.1912, als 66 Vereine mit 45 Fahnen durch die Straßen unserer Stadt zogen.


Peter Schneider war es auch, der während des 1. Weltkrieges mit nur wenigen Getreuen den Turnbetrieb aufrecht erhielt. Nach dem großen Völkerkriegen trauerte man um 32 gefallene Turnbrüder. Schwere finanzielle Sorgen drückten den Verein.


Doch bereits 1919 erlebte die Turnsache in Helmbrechts einen ungeahnten Aufschwung. Trotz allgemeiner Wirren in Politik und Wirtschaft stieg die Mitgliederzahl. Eine hochherzige Geldspende des ehemaligen Turnbruders Heinrich Leupold aus Cambridge (England) half aus der materiellen Not. So konnte trotz der Schatten der Inflation vom 4. bis 6.6.1922 das 6ojährige Bestehen gefeiert werden. Die Gründung einer Orchestervereinigung, einer Sängerriege und einer Theaterabteilung im Jahre 1924 belebte die kulturelle Szene unserer Stadt und half wesentlich bei der Werbung neuer Mitglieder.


Ein erneutes Gauturnfest fand 1925 in Helmbrechts statt, und die von Peter Schneider geführte Riege erreichte beim Landesturnfest 1930 in Regensburg mit dem ersten Sieg den Höhepunkt ihrer turnerischen Arbeit.


Der im Jahr 1925 gefasste Beschluss, einen Bühnenanbau zu errichten, führte zwar wegen der damit verbundenen Schuldenaufnahme zum Rücktritt der gesamten Vorstandschaft, doch erwies sich diese Maßnahme als richtig. Die nunmehr in der Turnhalle stattfindenden kulturellen Veranstaltungen verbesserten die Vereinskasse merklich.


Während der Zeit des Dritten Reiches konnte infolge der absoluten Gleichschaltung an ein Vereinsieben im Sinne Jahns unter den Symbolen des „Frisch - fromm - fröhlich - frei“ nicht gedacht werden. Zwar hielt man 1942 noch eine Feierstunde zum 80jährigen Jubiläum ab, danach jedoch wurde der Turnhallensaal mit Fremdarbeitern belegt. Der Turnbetrieb kam zum Erliegen, Mitgliederstand sank auf 170.


Am 23.2.1946 erlaubte die amerikanische Militärregierung die Wiederaufnahme des Vereinsbetriebs in beschränktem Umfang. Martin Voigt als erster und Martin Mähringer als zweiter Vorstand waren die Männer der ersten Stunde, die mit ungebrochenem Idealismus ans Werk gingen. Zusehends mehrten sich die Mitglieder, häufige Vermietungen der Halle erbrachten dem Verein finanziellen Zuwachs, ein allgemeiner Aufschwung machte sich bemerkbar.


Die verantwortlichen Vorstandsmitglieder Richard Rieß, Martin Mähringer, Karl Taubald und Fritz Roßberg wagten 1950 einen Um- und Anbau der Turnhalle. Dieser mutige Schritt wirkte sich als äußerst segensreich für den Verein aus. Allenthalben entfaltete sich neues Leben. Im Jahr 1951 konnten nicht weniger als 270 Neuaufnahmen getätigt werden. Im Zeitraum von 1949 — 1952 entstanden sieben neue Abteilungen: Faustball, Tischtennis, Fußball, Boxen, Schwimmen, Wintersport und Fechten. Der Chronist stellt zu dieser Entwicklung fest: „Der Verein nahm anfangs der fünfziger Jahre sein modernes Gesicht an, das ihm bis heute erhalten geblieben ist.“


Von 1951 bis zu seinem Tod am 6.12.1960 wirkte Richard Rieß als 1. Vorstand. Schon bald zeigten sich die Früchte seiner hingebungsvollen Arbeit, die er - selbstlos und mit einer vorbildlichen turnerischen Gesinnung - nicht zuletzt zum Wohl der Jugend verrichtete. Das 90. Gründungsfest im Jahre 1952 führte über 10000 Besucher in die 8600 Einwohner zählende Stadt. Ein großartiger Festzug bewegte sich durch Helmbrechts, 27 Wettkämpfe nahmen einen harmonischen Verlauf.


Angespornt durch diese Dokumentation des turnerischen Gedankens, fanden immer mehr Gleichgesinnte zum Verein, der eine Mitgliederzahl von 1.000 erreichte. Davon waren allein 420 in den verschiedenen Sparten aktiv. So wunderte es nicht, dass der TVH den zweiten Platz bei den Deutschen Mannschaftsmeisterschaften 1954 belegte.


Der allgemeine Trend - weg vom Geräteturnen, hin zu den „leichteren“ sportlichen Betätigungen - machte auch bei uns nicht halt. Im Zuge dieser Entwicklung schlossen sich 1956 die Leichtathletikabteilungen des TVH und des VfB Helmbrechts zu einer Leichtathletikabteilung zusammen, die bei den Deutschen Jugendmannschaftsmeisterschaften bayerischer Meister wurde.


Das Jahr 1957 stand im Zeichen des 65. Vereinsjubiläums, verbunden mit dem 6. Nordoberfränkischen Gauturnfest. Renovierungsarbeiten in der Halle erwiesen sich als notwendig. So wurden unter anderem die Heizungsanlage erneuert, ein Geräteraum sowie eine Dusch- und Waschanlage eingebaut.


Herbert Hirschberger, beseelt von dem Gedanken einer umfassenden körperlichen Ertüchtigung der Jugend, führte ab 1958 elf Jahre hindurch die Schülerabteilung des TVH. Mit bewundernswertem Idealismus scharte er fast 300 Jungen und Mädchen um sich, die er mit Disziplin und zugleich mit nahezu väterlicher Fürsorge zu begeistern wusste. Was Herbert Hirschberger für die Jüngsten des Vereins bedeutete, das war für Oberturnwart Walter Geier seine Kunstturnriege, die 1961 in Schweinfurt im Rahmen der Deutschen Turnvereins-Meisterschaft einen beachtlichen dritten Platz erkämpfte.


Nach dem Tod von Richard Rieß oblag es seinem Nachfolger Martin Mähringer, die große Turnerfamilie in das Jubeljahr der Hundertjahrfeier verantwortlich zu begleiten. Er tat es umsichtig, zielstrebig und aus dem reichen Schatz seiner turnerischen Erfahrung heraus. So gestalteten sich die Tage vom 29.6. bis 1.7.1962, verbunden mit dem Gauturnfest sowie einem Kinder- und Schülerturntest unter Leitung von Herbert Hirschberger, zu unvergesslichen Erlebnissen. Der VfB Helmbrechts stellte bereitwillig seine Frankenwaldsportstätte zur Verfügung.


Beim Antritt seiner zweiten Amtsperiode als 1. Vorstand im Jahr 1967 stellte Karl Taubald die Weichen für eine moderne Vereinsarbeit, die sich mehr und mehr von Geräteturnen und Freiübungen auf das Gebiet des freien sportlichen Tuns verlagerte, wobei Höchstleistungen erstrebenswerte Ziele darstellten.


In den Kelch der Freude, dass 1969 der TVH zum zweiten mal bayerischer Vereinsturnmeister wurde, fielen leider zwei bittere Wermutstropfen. Herbert Hirschberger legte aus Altersgründen sein Amt nieder, und Walter Geier verließ ein Jahr später mit seiner Familie Helmbrechts. Dadurch erlitt sowohl die erfolgreiche, weithin geschätzte Riege der Kunstturner, als auch die florierende Schülerabteilung einen schweren Verlust. Aus der Ära Hirschberger/Geier jedoch ging ein Stamm von zehn Sportlehrern hervor, die sich zum Teil dem Verein als Übungsleiter zur Verfügung stellten. Vor allem waren es Gottfried Aust, Günther Weiß, Adalbert Neumeister und - bis zu ihrem tragischen Tod - Renate Müller, die das turnerische Erbe weiter trugen.


Anfangs der siebziger Jahre leiteten Horst Reichel, Sophie Drescher und Marianne Mergner die von Herbert Hirschberger aufgebaute Schülerabteilung. Die von Sophie Drescher hervorragend betreuten Turnerinnen wurden mehrfach bayerische Meister in der Gruppengymnastik und stießen auf Bundesebene unter die zehn Besten vor.


Noch einmal, von 1971 bis 1976, widmete sich Herbert Hirschberger mit vollem Einsatz dem Verein als 1. Vorstand. Trotz aller wohlgemeinten Versuche konnte das Geräteturnen nicht mehr wiederbelebt werden, die Jugend drängte - wie überall - mehr zu den „populären“ Ballsportarten. Am 9.1.1971 entstand eine Judoabteilung, die bis in die Gegenwart zu stolzen Erfolgen gelangte, untrennbar verbunden mit dem Namen Hans Mergner.


Nach dem Tod Herbert Hirschbergers übernahm Rudolf Schelzke den Vorsitz des Vereins. Es war kein leichtes Amt, galt es doch, die alten Tugenden deutschen Turnertums in Einklang zu bringen mit einer mehr sportlichen Einstellung der jungen Generation. Zielstrebig und verantwortungsbewusst führte Rudolf Schelzke den Verein, dessen Leistungen weithin von sich reden machten. Während er die nötigen Renovierungsarbeiten in der Halle fachgerecht vorantrieb, ging es Rudolf Schelzke nach außen hin um eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit, die ihm als Repräsentanten in mehreren Gremien auch vorzüglich gelang.


Unfassbar für viele, erlag Rudolf Schelzke am 28.10.1978 einem Herzinfarkt. Mit Recht sprach man, auch über die Vereinsgrenzen hinaus, von einem schweren Schicksalsschlag, nicht nur für den TVH, sondern für unser ganzes Gemeinwesen.


Fast ein Jahrzehnt steht nunmehr Karl-Heinz Gluth an der Spitze der Turner. Selbst begeisterter Handballer, war er bereits vor seiner Wahl eng mit dem Vereinsieben verbunden. Kameradschaft ist für ihn der Inbegriff turnerischer Haltung in unserer Gegenwart, mit einem klaren Blick für das Machbare verbindet er einen gesunden Optimismus, der auf die Jugend setzt. So versteht er es als 1. Vorstand ausgezeichnet, die Turnerfamilie nicht nur zusammenzuhalten, sondern dem Verein auch immer wieder neue Impulse zu geben vor allem im gesellschaftlichen Bereich. Dies bewiesen die Jubiläumsfeierlichkeiten zum 120. Bestehen, die hauptsächlich von der Handbailabteilung unter seiner Regie getragen wurden, aber auch die traditionellen „bunten Abende“ die Schüler und Eltern mit dem Verein verbinden. Kein Wunder, dass ab 1982 ein beachtlicher Mitgliederzuwachs verzeichnet werden konnte.


Die Probleme wirtschaftlicher Art sind gerade in der jüngsten Zeit durch die gesamte Entwicklung im Stadtbereich bedeutend gestiegen. Karl-Heinz Gluth weiß sich jedoch umgeben von einer treuen Schar Mitverantwortlicher und einhellig unterstützt von der Gemeinschaft der Helmbrechtser Turner, die über alle Alters- und Standesgrenzen hinweg gerade vor der 125-Jahr-Feier voll zu ihrem TVH steht.


„Großes Werk gedeiht nur durch Einigkeit‘, so singen wir im Turnerlied. Möge diese Einigkeit, die Harmonie im ständig vielfältiger werdenden Vereinsleben auch künftig allen Widerwärtigkeiten trotzen und unsere Jugend begeistern für die alten Ideale, auch wenn sich die Formen in einer neuen, multiplen Gesellschaft gewandelt haben.